Prof. Dr. Urs Baumann

Forschungsprojekte


A. Dialogpraxis konkret: Begegnung von Muslimen und Christen

Keine Sünde ist so verderblich wie die Verachtung eines Bruders wegen der Verschiedenheit seines Bekenntnisses (Bayezid Bastani, persischer Sufimeister)

Prof. Dr. U. Baumann in Zusammenarbeit mit M. Vött, Ayfer & Ridwan Bauknecht und einer Arbeitsgruppe

In einer zunehmend wertpluralistischen, multikulturellen und interreligiösen Gesellschaft verschwinden auch die gemeinsamen religiösen Nenner volkskirchlicher Milieus. Das Gespräch und die Verständigung mit Menschen anderer kultureller und weltanschaulicher Orientierung, die konstruktive Auseinandersetzung mit anderen Denk- und Sprachspielen wird zu einem immer wichtigeren Faktor im sozialen Zusammenleben. Soll ein solcher Dialog gelingen, setzt er Kompetenzen in der Sache, der Gesprächsführung, und der persönlichen Auseinandersetzung voraus.

Diese Ökumenische Dialogkompetenz wollen wir in diesem Seminar gemeinsam erwerben. Dazu möchten wir im christlich-muslimischen Dialog Erfahrungen sammeln und von den eigenen Erfahrungen ausgehend gemeinsam lernen.

Das Seminarkonzept:

Am Seminar werden zu gleichen Teilen christliche und muslimische Studierende teilnehmen.

Wir werden konkret und praktisch in Dialog treten und uns austauschen über Religiosität, Glaube und Kultur.

Wir lernen von- und miteinander zwei Religionen kennen und arbeiten gleichzeitig an unseren Gesprächsführungskompetenzen.

Wir nehmen gemeinsam an der christlich-islamischen Tagung Christentum und Islam im Kontext der einen Welt in Bendorf teil.

Wir reflektieren unsere Erfahrungen im Blick auf die Anleitung zur Dialogpraxis in Schule, Gemeinde und Erwachsenenbildung.

Daten und Termine:

Vorbesprechung: 18. April 1997, 14­16 Uhr im Theologicum (Seminarraum S3)

Kompaktveranstaltungen: 1. (13.30­18.00 Uhr) 2. u. 3. Mai (9.00­17.00 Uhr); 16­19. Mai 1997 (Tagung, Freitag abend bis Montag morgen); 22. Mai 1997 (20.00 Uhr), 20. Juni (14.00­18.00) und 21. Juni 1997 (9.00­17.00)

Anmeldung: im Theologicum (Sekretariat, Frau Lettau) oder telephonisch im Institut für Ökumenische Forschung (Tel: 07071/ 29-7-2871, Frau Kreitz).

Die Teilnehmerzahl ist sowohl für Christen wie für Muslime begrenzt, deshalb möglichst bald anmelden, spätestens jedoch bei der Vorbesprechung!
 

Bericht über den ersten Durchgang: Matthias Vött,   Dialogpraxis konkret


B. Nachchristliche Religiosität und Christentum

Das Projekt setzt sich in drei Schritten mit der religiösen Situation der Zeit auseinander:

1. Geistes-, kultur- und naturwissenschaftliche Voraussetzungen

- Interdisziplinäre Analyse der religions- und wissenssoziologischen, entwicklungs- und religionspsychologischen Rahmenbedingungen individualisierter (postmoderner) Religiosität und deren Auswirkungen auf das christliche Selbstverständnis der Gegenwart.

- Heutige Konstruktionsbedingungen religiöser Wirklichkeit.

2. Phänomenologie Postchristliche Religiosität

- Die Krise der traditionellen Religiosität: Tradierungskrise, religiöse Erfahrungskrise und ethische Orientierungskrise; die Auflösung der traditionellen religiösen Sprachgemeinschaft biblisch-kirchlich geprägter christlicher Metaphern und Symbole, religiöse Individualisierung und Synkretismus im Christentum.

- Individualisierung und Wertewandel; Religiosität zwischen Selbstverwirklichung,Erlebniswelt und fundamentalistischer Ereiferung.

- Die Krise der neuzeitlichen Gottesfrage und die Revolution der Erfahrung:die "esoterische Wende".

- Funktionswandel und Wandel der religiösen Erwartungen in einer multikulturellenund multireligiösen Gesellschaft; die Relativität der christlichenSinn- und Orientierungsangebote.

3. Christentum als Alternative? Der Beitrag des Christentums

- Das 'Gottesprojekt': Chancen und Aufgaben einer religiösen Weltinterpretationim Kontext heutiger Wirklichkeitserfahrung.

- Ökumenische Perspektiven, Akzente und Anliegen: Angebot und Themenzeitgenössischen Christentums. Religiöses Selbstverständnis,Gemeinschaft und christliche Lebenspraxis.

- Das Anliegen der Menschlichkeit: Welt, Ethos und Religion.

Zur Information: Urs Baumann, Zukunft desChristentums


C. Religiöse Erfahrung und
theologische Sprache

In Zusammenarbeit mit Dipl. Theol. Stefan Schumacher diplomierter Ehe-, Familien- und Lebensberater, NLP-Trainer

1. Problembeschreibung

Die heute stattfindenden globalen Standortverschiebungen in Raum, Zeit und Geschichte verändern auch die religiöse Sprache, die Denkformen und Wertstellungen. D. h.: In dem Maße, wie sich die Wahrnehmung und Interpretation von Wirklichkeit wandelt, ändert sich auch die Begrifflichkeit, mit der diese Erfahrungen adäquat zur Sprache gebracht werden. Der Kern der vielbeklagten religiösen Verkündigungs- und Tradierungskrise dürfte genau in diesem Problemfeld liegen, insofern nämlich als die Antworten der Kirchen heute an den existentiellen Anliegen vieler suchender Menschen vorbeigehen, d. h. sprachlich nicht wohlgeformt sind im Blick auf die Lebenswirklichkeit neuzeitlich geprägter Menschen und daher im Alltag immer mehr an Bedeutung einbüßen.

Zudem scheint die individualisierte 'postmoderne' Gesellschaft an einer Unfähigkeit zu leiden, Kategorien wie Religiosität, Sinn, Werte, Glaube, Spiritualität usw. angemessen zur Sprache zu bringen. Mitten im Zeitalter der Kommunikation und Information schwinden die gemeinsamenFormen des Austauschs über das "Warum", "Wozu" und "Woraufhin" menschlichen Lebens. Es fehlt an religiöserKommunikationsfähigkeit und damit an der Fähigkeit sich mitzuteilen, Sinnstrukturen auszutauschen, Werteorientierungen kritisch zu hinterfragen, Spiritualität zu (er)leben. Eine verhängnisvolle Situation in einer Epoche, in der der Mensch darauf angewiesen ist, seine Sinn- und Werteorientierung selbständig, d. h. ohne verpflichtende Vorgaben zu 'designen' und umzusetzen.

2. Aufgabenbeschreibung

Für alle, die im Bereich von Theologie und Seelsorge, Pädagogik und Psychologie beratend tätig sind gilt deshalb: Sie sind nur insoweit überhaupt in der Lage Menschen bei der Sinn- und Werteorientierung spirituell zu unterstützen, als sie selbst in der Lage sind, die individuellen Modelle religiöser Wirklichkeit bei ihren Gesprächspartnern genauwahrzunehmen und diese - ohne die eigene Konstruktion religiöserWirklichkeit schon als Norm für andere vorauszusetzen - bei der Exploration ihrer existentiellen Fragen zu unterstützen. Dazu gehört die Bereitschaft, die eigene Versprachlichung religiöser Inhalte zu reflektieren, aber auch die sprachpädagogische Kompetenz, religiöse Sprachäußerungen anderer auf semantische wie syntaktische Wohlgeformtheit hin zu überprüfen.

3. Methodisches Vorgehen

Aufgrund dieser Beobachtungen findet im Rahmen der Veranstaltungen des Instituts für Ökumenische Forschung seit dem Wintersemester 1994/95 ein Seminarexperiment statt, welches zum Ziel hat, Methoden zu erforschen, die geeignet scheinen, theologisches und religiöses Sprechen auf seinelebenspraktische Relevanz hin kritisch zu erkunden und einzuüben. In den vier bisher durchgeführten Seminaren wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer unter wissenschaftlich-experimentellen Bedingungen unter Zuhilfenahme von kommunikationspsychologischen Elementen des Neurolinguistischen Programmierens (NLP): Metamodell der Sprache (sprachanalytisch), Milton-Modell (hypnotisch-synthetische Sprache), sinnesspezifische Wahrnehmung usw. bei der Suche nach einer adäquaten Weise des Sprechens über den eigenen Glauben angeleitet.

Durchgeführte Seminare:

- Gottesbilder. Theologiezentrierte Interaktion über den Zugang zum eigenen Glauben (WS 94/95 und SS 95 mit wechselnder methodischerZielsetzung).

- "Patchwork-Religiosität". Einübung in die Wahrnehmung spiritueller Erfahrung unter den Bedingungen individualisierter Religion (WS 95/96).

- Sinn erfahren: Einübung in die Wahrnehmung und in den Umgang mit Metaphern und Symbolen des Lebenssinnes (SS 1996).

4. Weiterführende Zielsetzungen

Neben ihrem unmittelbaren Ausbildungszweck dienen die Seminare der Exploration und Erprobung von Metaphern, Symbolen und Begriffen der Transzendenzerfahrung und des Lebenssinnes, die sich für ein theologisch relevantes Sprechen unter den Bedingungen 'postmoderner Religiosität' eignen.

Zur Information: Stefan Schumacher, Sprachliche Wohlgeformtheit im Spannungsfeld von Theologie und Spiritualität

Stefan Schumacher, Stand: September 1996